Der Obelix des guten Olivenöls, besser bekannt als "der Foodscout" der Schweiz, erzählt seinen Leserinnen und Lesern im Stile einer Verkündung während des letzten Abendmahls am für die römisch-katholischen Christen heiligen Gründonnerstag, dass Olivenöle, für die der Handel mehr als 35 Franken pro Liter verlange, generell "überteuert" seien. Das ist blanker Hohn und fachlich ebenso falsch wie zahlreiche weitere Aussagen, die der ehemalige Globus-Mann im Zusammenhang mit Olivenöl in der NZZ Bellevue gegenüber seinen geneigten Leserinnen und Lesern trifft.
Wenn man als Kind in einen randvoll mit bestem Olivenöl gefüllten Kessel stürzt, hat man mit grösstmöglicher Wahrscheinlichkeit fortan eine entschiedene Abneigung gegen eben jenes Olivenöl. Das traumatische Ereignis in schlechter Erinnerung hat man von diesem Olivenöl bis ans Lebensende genug.
Nun, die Geschichte mit Obelix' Sturz in Miraculix' Zaubertrank deutet hingegen eher auf eine atypische Liaison hin, die sich in der Folge des "Unfalls" zwischen dem stämmigen Gallier und dem energieverleihenden Gebräu entwickelte. So wird Obelix zwar fortan verboten, auch nur einen einzigen Tropfen des Zaubertranks zu kosten, allerdings würde sich der Hinkelsteinmann wohl kaum zweimal bitten lassen, einen gefüllten Kessel mit Zaubertrank alleine leerzutrinken.
«Andererseits wird die Geschichte allerdings schnell ruchlos [..]»
Soweit so gut. Dass Richard Kägi, der medienwirksamste Foodscout auf helvetischem Territorium, hoffentlich mehr scherz- als ernsthaft annimmt, seine Vorliebe zum Olivenöl sei damit zu begründen, dass er als Kind - in ähnlicher Manier wie Obelix - in einen Kessel (wobei Kägi das Wort "Tank" verwendet) voller Olivenöl gefallen sei, kann zwar als Eisbrecher gewertet werden, der die Leserschaft frivol zum harten Kern des fachlich eigentlich höchst anspruchsvollen Inhalts des NZZ-Bellevue-Artikels vom 14. April 2022[1] führen soll. Andererseits wird die Geschichte allerdings schnell ruchlos, als Kägi im Zusammenhang mit seiner eigens bei sich beobachteten psychosomatischen Reaktion auf das Ereignis des zur Neige gehenden Olivenöls den für meinen Geschmack nicht sehr stilvollen Vergleich zu einem Drogenabhängigen zieht, dem - laut Kägi - ebenso der kalte Schweiss ausbreche, wenn diesem der Stoff ausgehe.
Geschmack, der abschreckt
Extra Vergine sei sein unentbehrliches Elixier. «Energielieferant. Schmierstoff. Mehr noch Medizin», schreibt der Mann, der lange Zeit in den Diensten von Globus stand und dabei sogenannte Delikatessen aus aller Welt in die Häuser von Globus brachte. Die Attribute "fettig" und "gesund" dürften zur - wie er es bezeichnet - "Olivenöl-Hassliebe der Schweizer" geführt haben. Fett zu essen, höre sich unsexy an. Dazu komme der dominante Geschmack des Olivenöls, der manche abschrecke. Ich kann Letzteres nur bestätigen, die allermeisten im Handel angebotenen Olivenöle stinken tatsächlich. Das hat aber damit zu tun, dass es sich bei diesen Olivenölen um wirklich schlechte Erzeugnisse handelt, die einerseits aus überreifen, der Gärung unterworfenen und oft schon fauligen Oliven gewonnen und andererseits schlicht und ergreifend mit falschen Mitteln und wenig Kenntnis produziert und gelagert werden. Bezeichnend ist, dass Globus selbst in jener Zeit, als Kägi noch auf der Payroll des edlen Handelshauses stand, sehr viele qualitativ schlechte Olivenöle im Angebot stehen hatte.[2] Unter anderem solche, deren Listung ins Globus-Sortiment der Foodscout notabene offenbar selbst verantwortete.
Dennoch glaube ich, dass Richard Kägi auf derselben Seite steht wie ich. Er meint im von mir kritisieren NZZ-Bellevue-Artikel nämlich, dass nicht wenige Produzenten und Händler die Unwissenheit von Konsumenten zu deren Nachteil ausnutzen würden. Ich pflichte ihm bei und muss anfügen, dass ich nicht weiss, von welchen Händlern er explizit schreibt und ob damit allenfalls auch sein früherer Arbeitgeber gemeint ist. Fakt ist allerdings, dass an Kägis Vorwurf tatsächlich mehr dran ist, als uns lieb sein könnte. Vor allem grosse Abfüller und gigantische Handelshäuser nutzen dieses Defizit an geistigem Kapital, das bei ihren Endabnehmern zu verorten ist, bisweilen scham- und gnadenlos aus. Es gibt aber - und das muss ebenso festgehalten werden - auch kleinere Erzeuger, die schlechte Olivenöle herstellen. Meist aus eigener Unwissenheit, oft aber auch aus Ignoranz gegenüber den in unserer Epoche erzielten Fortschritten. Nicht selten landen solche Öle bei Delikatessenhändlern. Letztere glauben, sich etwas ganz Besonderes angelacht zu haben. Besonders ist allerdings eine Definition für eine Minderheit. Und da stinkende Öle die Mehrheit ausmachen, kann man hier nicht von einer Besonderheit sprechen.
28 Grad und es wird noch heisser
Richard Kägi konstatiert in seinem Artikel richtig, dass das Prädikat "extra vergine" leider nicht viel über die Qualität des in der Flasche lagernden Öls aussagt. Tatsächlich wird es standardmässig und inflationär praktisch auf jedes Behältnis gedruckt, und schwimme darin auch nur Lampantöl. Lampantöle - der Hinweis sei an dieser Stelle erlaubt - hatte Globus vor noch nicht allzu langer Zeit selbst einige im Regal stehen, wie der bislang grösste Olivenöltest im Februar 2020 zutage förderte.[3] Doch, was bedeutet "extra vergine" denn überhaupt? Nun, die Verordnung 817.022.17[4] gibt darüber genau Auskunft - insbesondere, wenn man die Verweise auf die Verordnung der EU mitberücksichtigt und sich anschliessend die nicht zu unterschätzende Mühe macht, sich durch den Blätterwald ebensolcher Verordnungen zu lesen - und diese zu guter Letzt auch zu verstehen!
«Das ist natürlich gleich doppelter Unfug. [..] Möglicherweise hat er das beim Schweizer Olivenöl Panel gelernt [..]»
Ich befürchte allerdings, der Foodscout hat Kraft seines Amtes auf letzteres verzichtet. Er schreibt gegenüber der gut zahlenden NZZ-Leserschaft bloss davon, dass "gewisse Kriterien" erfüllt sein müssen. Und führt an, dass die "Temperatur beim Pressen nicht über 28 °C" steigen dürfe. Das ist natürlich gleich doppelter Unfug. Zeugt aber von der Naivität, mit der sich der erfolgreiche Kochbuchautor aus der Limmatstadt, dessen Erstlingswerk bereits in der dritten Auflage zu haben ist[5], an dieses diffizile Thema herangewagt hat. "Gepresst" werden heute die allerwenigsten der weltweit von den Bäumen geschüttelten und vom Boden gekehrten Oliven mehr. Aus ihnen wird in relativ industriell anmutenden Edelstahlanlagen das Öl extrahiert. Deshalb spricht man auch im juristischen Sinne von "Extraktion". Dennoch gibt es das ältere Verfahren des Pressens nach wie vor und entsprechend wird es auch in den Verordnungen neben dem heute üblichen "Extrahieren" so geführt. Die Unterscheidung bleibt dennoch wichtig - insbesondere, wenn man das Eine oder Andere auf dem Ölbehältnis ausloben will.[6]
Kägis Hinweis zum Temperaturlimit von 28 Grad Celsius ist deshalb falsch, weil es für die Produktion von nativen Olivenölen eigentlich kein festgeschriebenes Temperaturlimit gibt. Vorgegeben ist lediglich, dass das Öl aus der Olive ausschliesslich mechanisch gewonnen werden darf, womit selbsterklärend jegliche thermische Einwirkung zur Steigerung des Ertrages im Sinne der Menge untersagt bleibt. Von einem Temperaturlimit schreibt die Schweizer Verordnung, die - auch den vorliegenden Punkt betreffend - weitestgehend mit jener der EU harmonisiert ist, aber dennoch. Und zwar geht es darum, welches Temperaturlimit ein Erzeuger nicht überschreiten darf, möchte er das spätere Erzeugnis je nach angewendetem Produktionsverfahren als "kaltgepresst" oder "kaltextrahiert" ausloben. Hier gilt die Grenze von 27 °C.[7] Ich weiss also nicht, wie der Foodscout auf 28 °C kommt. Möglicherweise hat er das beim Schweizer Olivenöl Panel gelernt, das bezeichnenderweise im Dezember 2021 für seine fehlende Professionalität und Objektivität vom International Olive Council von der IOC-Panelliste ersatzlos gestrichen wurde.[8] Die Terminologie "Temperatur" wird im heute gültigen konsolidierten Text der Verordnung (EWG) Nr. 2568/91 der Kommission vom 11. Juli 1991 über die Merkmale von Olivenölen und Oliventresterölen sowie die Verfahren zu ihrer Bestimmung zwar 80 mal erwähnt, jedoch immer im Zusammenhang mit Olivenölprüfverfahren. Hier ist es auch, wo die Zahl 28 in zwei Absätzen genannt wird. 28 °C ± 2 °C müssen die Proben, die den Prüfern in mit Uhrgläsern abgedeckten normierten Prüfgläsern gereicht werden, betragen. Aber mit "sein oder nicht sein" im Kontext des Anforderungsprofils für "extra vergine" hat das überhaupt nichts zu tun.
Mindestpunktzahl bei der Degustation? Falsch!
Kägi will aber immerhin wissen, dass sich ein "Extra Vergine" nur so nennen dürfe, wenn es eine Mindestpunktzahl beim Degustieren aufweise. Diese von ihm selbst herbeigeredete Anforderung zählt er zu den nicht im Detail erklärten - weil offenbar nicht bekannten - "gewissen Kriterien". Ein Olivenöl, welches sich mit dem Prädikat "extra vergine" zu erkennen gibt, "muss" erstmal gar nichts. Schon gar nicht an einem Genusswettbewerb, wie es sie mittlerweile und unnützerweise zuhauf gibt, Punkte sammeln. Olivenölwettbewerbe sind nämlich etwas für das Schweizer Olivenöl Panel, dem das echte prüfen von Olivenölen nach IOC ja vom IOC in Madrid untersagt wurde und welches sich somit einzig und alleine mit dem Olive Oil Award Zurich seine infrage zu stellende Daseinsberechtigung erhalten muss. Nun gut, gewisse Redaktionen von Fernsehstationen senden zur Prüfung in naiver oder absichtlich böser Art und Weise nach wie vor Öle an das unzulängliche Wädenswiler Panel. Mit "extra vergine" gekennzeichnetes Olivenöl könnte aber tatsächlich aus überreifen Oliven gewonnen sein und bestialisch stinken, wie es die meisten im Handel angebotenen Öle ja ohnehin tun. Oder es könnte gar mit Sonnenblumenöl gemischt oder verunreinigt sein, wie es bei Globus der Fall war.[9] Es kümmert wirklich niemanden, bis zu jenem Punkt, an welchem das Lebensmittelamt das Produkt kontrolliert. Jetzt muss alles passen, das Öl muss (oder besser müsste) den Anforderungen an "extra vergine" entsprechen, wenn es auf dem Behältnis so ausgelobt ist. Es muss sich bei 26 chemisch-analytischen Parametern im Normbereich befinden, darf ausserdem in der sensorischen Analyse keinerlei negativen Attribute aufweisen, wovon es 21 mögliche gibt, und muss mindestens "fruchtig" sein, was als positives Attribut gilt. Bitterkeit und Schärfe gelten zwar ebenfalls als positive Attribute, jedoch als sogenannt nicht-zwingende. Besteht das Öl den Test in nur einem einzigen Punkt nicht, darf der Inverkehrbringer es nicht (mehr) "extra vergine" nennen.[10] Das Problem: Kontrollen finden so gut wie nie statt. Und wenn sie stattfinden, dann sind die Prüfungen - man kann es so sagen - stark fehleranfällig.
Futter für Wiederkäuer: Der unsägliche Harmonie-Parameter
Auch von der "Harmonie", einem Parameter, der bei der sensorischen Beurteilung in Wettbewerben aus mir unerklärlichen Gründen stark gewichtet wird, schreibt der ehemalige Globus-Mann in einer Selbstverständlichkeit, die Ihresgleichen sucht. Nun gut, er hat die aufgebauschte Wichtigkeit dieses absurden Parameters vermutlich während seiner Zeit bei der ZHAW indoktriniert bekommen. Für Konsumenten ist er letztlich aber völlig unnütz, denn wie Kägi selbst schreibt, ist Olivenöl vor allen Dingen auch ein Würzmittel. Und der Sinn der Würzmittel widerspricht demjenigen des Harmonie-Parameter in der Natur der Sache liegend diametral. Denn, Würzmittel haben den ehrenvollen Zweck, den Speisen, die wir zubereiten, Charakter zu verleihen und diese weitaus genüsslicher werden zu lassen. Würzmittel können die verschiedensten Eigenschaften resp. Ausprägungen haben, sie können mitunter scharf, bitter, salzig, süss, sauer, alkalisch, umami, krautig, blumig, fruchtig, alkoholartig, schweflig etc. oder eine Kombination aus Vorgenannten sein. Wenn Olivenöl sehr scharf und sehr bitter ist, dafür aber die Fruchtigkeit nicht allzu ausgeprägt ist - beispielsweise 3/10 für Fruchtigkeit, 7/10 für Schärfe und 5.5/10 für Bitterkeit -, sprechen diejenigen, die dem Harmonieparameter blindlings huldigen, von einem unharmonischen Öl. Oder von einem Öl, das nicht ausgewogen und zu bitter ist. Das ist geradezu lächerlich. Diese Menschen, die sich selbst Olivenölverkoster oder -prüfer nennen, haben den Sinn von Würzmitteln, wie es Olivenöl ist, nicht verstanden. Denn, wie gut nur eignet sich ein bitteres, scharfes aber nicht allzu fruchtiges Öl zu verschiedensten Speisen!
Niemand käme jemals auf die Idee, zu sagen, dass Salz zu salzig sei. Ein Gericht kann wahrlich als zu salzig empfunden werden, wenn man es mit zu viel Salz gewürzt hat. Das Salz an und für sich ist aber nicht zu salzig. Genauso wenig wie Rohrohrzucker oder auch raffinierter Zucker aus Zuckerrüben zu süss sein kann. Gebe ich beispielsweise in ein Gericht für zwei fleissige Esser drei gehäufte Esslöffel geräuchertes Paprikapulver, wird man das daraus entstehende Resultat wohl nicht mögen und das Gericht insgesamt als zu rauchig empfinden. Anders verhält es sich, wenn ich drei Messerspitzen des gleichen Gewürzes zum Gericht gebe. Nun verleiht das Paprikapulver dem Essen eine besondere Note, die grossmehrheitlich gemocht wird. Gleich verhält es sich mit dem bitteren Olivenöl. Es ist nicht zu bitter. Nur das Handling und die Verpaarung mit der Speise sind entscheidend. Ich habe über das Missverständnis des Harmonieparameters ausführlich geschrieben und erklärt, warum er für die Qualitätsförderung beim Olivenöl sehr schädlich ist.[11] Die Olivenöle werden dadurch nämlich immer "gleicher". Somit laufen wir in Gefahr, die charakteristischen Eigenheiten der über 1'400 kultivierten Olivensorten, wovon wir eine Vielzahl zu Öl verarbeiten, zu verlieren. Ich setze mich daher für die Vielfalt ein, die schlussendlich nicht nur unser Mahl, sondern auch die Arbeit der Erzeuger enorm bereichert.
Viel altes oder falsch gelagertes Olivenöl in Supermärkten
Das negative Attribut "ranzig" sei das am häufigsten anzutreffende, schreibt der Foodscout in seinem NZZ-Bellevue-Beitrag vom 14. April 2022.[12] Das stimmt, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Menschen ihr Olivenöl von einem Supermarkt kaufen. Die IOF-Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019 ergab nämlich, dass 46.55 % der fehlerhaften Öle mindestens ranzig waren.[13] 40.09 % der als nicht "extra vergine" getesteten Olivenöle waren mindestens "schlammig".[14] Die Ranzigkeit kann bisweilen so stark ausfallen, dass andere negative Attribute überdeckt werden und man diese - selbst als geübter Verkoster - nicht oder kaum mehr wahrnehmen kann. Zu tun hat die Ranzigkeit bei gelagerten Olivenölen in den allermeisten Fällen mit qualitativ ungenügenden und dann unsauber verarbeiteten Oliven. Zunächst tritt beispielsweise eine wahrnehmbare Schlammigkeit auf (ein Hygiene- und Mentalitätsproblem der Mühle resp. deren Betreiber und / oder Eigner), die dann früher oder später von der sich entwickelnden Ranzigkeit überdeckt werden kann. Allerdings können auch gute Öle, die aus tadellosen Oliven gewonnen wurden, bei schlechter und zu langer Lagerung ranzig werden (Heat Air Light Time sollten bei Transport und Lagerung vermieden resp. auf ein nötigstes Minimum reduziert werden). Sie, die guten Öle, sind dem Fettverderb ebenso unterworfen wie die schlechten - nur eben deutlich langsamer. Viele von IOF im Jahr 2019 getestete Olivenöle waren - ungeachtet ihrer Ausgangsqualität - schlicht und ergreifend überlagert, so dass die Ranzigkeit als vorherrschendes negatives Attribut praktisch selbsterklärend ist. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Olivenöle selbst bei den Lebensmitteleinzelhändlern oftmals bei zu hohen Temperaturen (und zu grossem Lichteinfluss) gelagert werden, wie die nachfolgende Grafik verdeutlicht.
*Temperatur der Olivenölflaschen, die bei den einzelnen Detailhändlern am selben Tag (26.07.2019) aus den entsprechenden Ladenregalen bemustert wurden. Die Temperatur wurde mit einem Infrarot-Thermometer gemessen und im Entnahmerapport schriftlich festgehalten. Die Lagertemperatur hat einen wesentlichen Einfluss auf die Alterung des Olivenöls. Bei Detailhändlern ist eine Regal-Temperatur von maximal 20° C anzustreben.
«Zur Aufdeckung von Missbrauch ist die korrekt durchgeführte sensorische Analyse unentbehrlich.»
Delikatessenkenner Kägi ordnet unter "gewisse Kriterien", die es zu erfüllen gilt, will das Olivenöl ein Extra Vergine sein, sodann auch die chemisch-physiologischen Parameter ein, deren Werte im Rahmen der chemischen Analyse von Olivenölen ermittelt werden. Welche genau das sind, verrät er der interessierten NZZ-Leserschaft - weil er sie womöglich selber nicht kennt - allerdings nicht. Trotzdem will er aus eigener Überzeugung wissen, dass sich der Missbrauch beim Olivenöl - welcher notabene allgegenwärtig ist - nur mit chemischen Analysen aufdecken lasse. Nur mit welchen?? Tatsächlich verhält es sich jedoch genau umgekehrt. Die in der Verordnung (EWG) Nr. 2568/91 der Kommission vom 11. Juli 1991 resp. ihrer jüngsten Änderungsverordnung, der Durchführungsverordnung (EU) 2019/1604 der Kommission vom 27. September 2019, festgelegten chemisch-analytischen Merkmale i. S. Qualität und Reinheit können heute relativ einfach von grossen Abfüllbetrieben bis hin zu kleineren Erzeugern eingehalten werden. Was aber noch lange nicht heisst, dass die entsprechenden Olivenöle, die in der Regel allesamt "extra vergine" genannt werden, tatsächlich von erster Güte sind. Zur Aufdeckung von Missbrauch ist die korrekt durchgeführte sensorische Analyse, was die Qualität des Olivenöls angeht, unentbehrlich. Zudem sind in Sachen Sicherung der Reinheit (und auch der Qualität) auf chemisch-analytischer Seite griffige Instrumente notwendig, die es bislang - aufgrund mächtiger Opposition der Olivenölindustrie selber - allerdings noch nicht in die Verordnung geschafft haben. Zuerst müssen die grossen Ölmischer noch besser mischen und noch sensiblere Tricks in- und auswendig können, bis der Internationale Olive Rat und schliesslich auch die EU härtere Prüfparameter in den Anforderungskatalog aufnehmen werden. Schliesslich, und das darf man nicht vergessen, ist der Internationale Oliven Rat ebenso seinen olivenanbauenden Mitgliedern verpflichtet wie die EU, die ihrerseits als grösste Erzeugerin und Exporteurin von Olivenöl selber Nutzniesserin ihres eigenen kriminellen Systems ist. Meine eben gemachte Aussage, dass die chemische Analyse alleine nicht genügt, um Missbrauch, nun gut nennen wir es Betrug, aufdecken zu können und die korrekt durchgeführte sensorische Analyse sehr wichtig bleibt, kann im Dokument der IOF-Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019 auf den Seiten 12 sowie 62 bis 65 nachgeprüft werden.[15]
Kägi weiss wie ich, dass es viele Prüfkonsortien gibt, die native Olivenöle sensorisch unzureichend prüfen. Wenn die Fehlbarkeit dieser Institutionen stich- und hiebfest nachgewiesen werden kann und der öffentlichen Druck auf ebensolche zu gross wird, zieht sogar der Internationale Oliven Rat die Reissleine und scheidet die entsprechenden "Panels" aus. So geschehen, wie schon mehrmals angetönt, im letzten Dezember mit dem Schweizer und dem Deutschen Olivenöl Panel. Meiner Meinung nach handelt es sich bei diesen zwei Panels um zwei im deutschen Sprachraum federführende Prüfergruppen, die mitverantwortlich für die miserable Olivenölqualität in den Läden der Supermärkte und Discounter sind. Was will man anderes erwarten. Solange Einkäufer von Handelshäusern selbst in den Prüfgremien sitzen, wird sich die Situation nicht bessern. Denn, wo soll da noch die Objektivität bleiben? Alles ist zum eigenen Vorteil ausgelegt. Fragen Sie beispielsweise Coop!
«Nicht für jeden gilt der gleiche Massstab.»
Der Foodscout hat in seinem NZZ-Bellevue-Artikel tatsächlich einige Dinge bei Namen genannt, bei wiederum anderen Sachverhalten allerdings heftig danebengehauen. Ob man im Zusammenhang mit dem Olivenölproduktionsverfahren nun "gepresst" oder "extrahiert" sagt, das ist zwar ein wichtiges fachliches Detail, aber im Endeffekt ist es wirklich nicht entscheidend. Vielmehr entscheidend und nachhaltig gefährlich für die Meinungsbildung der NZZ-Leserinnen und -leser finde ich die Aussage Kägis, dass Olivenöle, deren Literpreis 35 Franken übersteige, überteuert seien. Das ist blanker Hohn und brüskiert viele gewissenhaft arbeitende Olivenölunternehmen. Erstens stimmt Kägis Aussage schlichtweg nicht, wie ich nachfolgend beweise, und zweitens sticht dieser damit seinem ehemaligen Arbeitgeber ein Auge aus. Denn die teuersten Olivenöle im Schweizer Detailhandel weiss Globus im Sortiment. Globus dürfte folglich nicht wirklich Gefallen an seinem ehemaligen Foodscout und dessen Aussagen finden.
Anteilsmässig am besten waren im Jahr 2019 im Schweizer Detailhandel übrigens jene Olivenöle, die eine Preisspanne zwischen 50 und 60 Franken pro Liter aufwiesen. Kostet ein halber Liter im Supermarkt also zwischen 25 und 30 Franken, sind die Chancen im Vergleich zu den anderen Preiskategorien recht gut, dass man zu einem echten Extra Vergine greift.[16]
Warum gute Olivenöle mitunter und je nach Produktionsgebiet deutlich teurer sein können, als der Foodscout der NZZ-Bellevue-Leserschaft heute weismachen will, habe ich übrigens in der NZZ bereits im Herbst 2018 im Rahmen eines Gastkommentars einleuchtend erklärt.[17]
Von Glück und Sternen
Natürlich kann es auch passieren, dass die Sterne derart gut stehen (nun gut, sie wandern eigentlich - man soll dazu nur mal den Himmel beobachten) und man bei einem weitaus günstigeren Olivenöl sein Glück findet. Wobei das ja immer auch eine Geschmackssache ist. Dem Einen schmecken stinkende Industrieöle, dem Anderen wirklich wohlduftende Handwerksöle. Diese Unterschiedlichkeit ist an und für sich in Ordnung. Die Konsumenten, oder wie sie in Deutschland in abwertender Manier genannt werden, die Verbraucher, sind schlussendlich selber für ihr Wohl verantwortlich und haben es in der Hand, vor dem Ladenregal stehend die richtige Entscheidung zu treffen. Diejenigen, die sich um ihr Wohl sorgen und bereit sind, etwas Zeit dafür zu investieren, kriegen - wenn es der Geldbeutel zulässt - mit Sicherheit jeweils die besseren Produkte, die - unter dem Strich - sicherlich auch mehr Freude bereiten. Die preisgünstigen Extra Vergine, die man für einen Literpreis von unter zehn Franken erstehen kann, gibt es - wenn auch selten - aber dennoch.[18] Diese sind sodann übrigens besser als manche Öle, die Kägi - noch in Diensten von Globus - zu seinen Lieblingen zählte.[19][20] Ich darf mich fragen, und Sie sich im Übrigen auch, was diesen Mann zur Beurteilung von Olivenölen qualifiziert?
Und unter uns gesprochen, bei der Degustation eines Vergine-Olivenöls (2. Güteklasse) von der Migros oder vom Coop, das pro Liter gerade mal 4 Franken und ein paar Zerquetschte kostet, kann man doch den Fünfer mal gerade stehen lassen. Immerhin nennen diese Unternehmen das preisgünstigste Olivenöl nicht (mehr) "extra vergine". Wer nicht besonders anspruchsvoll ist und wem diese Qualität reicht, der erkocht sich damit gut und gerne sein eigenes Glück. Davon bin ich überzeugt. Und denken Sie nur mal an die vielen "Spitzenköche", die supergünstige Olivenöle für ihre preisgekrönte, von Punkten überhäufte und von Sternen erleuchtete Küche verwenden, die mit "extra vergine" etwa so viel zu tun haben wie Zitronenfalter mit gefalteten Zitronen. In den allermeisten Fällen schmeckt das Essen den Gästen trotzdem vorzüglich.
«Nicht alle Menschen wählen stets die teuersten Zutaten, und ebenso wenig suchen alle Menschen die Restaurants anhand der Sterne auf.»
Von der Devise "Finger weg von Flaschen mit einem Literpreis von unter zwölf Franken", wie es der Foodscout die NZZ-Leserschaft lehren will, möchte ich an dieser Stelle deshalb abraten. Denn, wie gesagt, nicht für jeden gilt der gleiche Massstab. Und das ist grundsätzlich gut so. Nicht alle Menschen wählen stets die teuersten Zutaten, und ebenso wenig suchen alle Menschen die Restaurants anhand der Sterne, die der bisweilen oft fragwürdige Michelin-Guide vergibt, auf. Apropos Sterne-Restaurants, in seinem Artikel vom 22. April 2022 im NZZ Magazin behauptet Foodscout Richard Kägi: «Das Restaurant der Familie Häberlin ist ein Monument der französischen Küche und wird seit Jahrzehnten mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet.»[21] Ich wünschte mir stellvertretend für die Leserinnen und Leser der NZZ, dass sich Kägi bei seiner Arbeit etwas mehr Mühe gäbe, genauer recherchierte und das bleiben liesse, wovon er wenig bis nichts versteht. Marc Haeberlins (wohlverstanden, Haeberlin mit "ae" geschreiben) Auberge de l’Ill wurde im Frühjahr 2019 nämlich abgewertet und wird seither "nur noch" mit zwei von drei möglichen Sternen im Guide Michelin geführt, was etwa der Gastronomie-Journalist Jürgen Dollase "skandalös" findet.[22][23]
Skandalös, das ist das Attribut, mit welchem ich diese Kritik schliessen möchte. Ich finde es skandalös, dass sich Richard Kägi wenig fundiert, oberflächlich und teilweise fachlich kreuzfalsch, jedoch offensichtlich in der Annahme, alles Wesentliche zu wissen, über das Lebensmittel Olivenöl auslässt und die NZZ ihm dafür blindlings vertrauend auch noch eine prominente Plattform bietet. Was schlimmer wiegt, ersteres oder letzteres, darüber liesse sich streiten.
Quellen
[1] KÄGI, Wieso man bei Olivenöl keine Kompromisse machen sollte, NZZ Bellevue, 14.04.2022; zu finden unter https://bellevue.nzz.ch/kochen-geniessen/olivenoel-worauf-es-beim-kauf-und-der-lagerung-ankommt-ld.1679224
[2] Ermittelte Qualität der Globus-Olivenöle in IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 107/108/109; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[3] Ermittelte Qualität der Globus-Olivenöle in IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 107/108/109; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[4] Verordnung des EDI über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH) SR 817.022.17, 2. Abschnitt: Olivenöl und Oliventresteröl; zu finden unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/181/de#chap_3/sec_2
[5] KÄGI, Kägi Kocht, Rezepte für mehr Geschmack. Mit Geschichten und Küchentricks des Foodscouts, AT Verlag; zu finden unter https://at-verlag.ch/buch/978-3-03902-037-9/richard-kaegi-kaegi-kocht.html
[6] Verordnung des EDI über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH) SR 817.022.17, Art. 10 Abs. 3; zu finden unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/181/de#art_10
[7] Verordnung des EDI über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH) SR 817.022.17, Art. 10 Abs. 3; zu finden unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2017/181/de#art_10
[8] BRUN, Das Schweizer und das Deutsche Olivenöl Panel verlieren die Anerkennung durch IOC, evoo.expert; zu finden unter https://www.evoo.expert/post/das-schweizer-oliven%C3%B6l-panel-und-das-deutsche-oliven%C3%B6l-panel-verlieren-die-anerkennung-durch-ioc
[9] Verunreinigtes Olivenöl bei Globus ermittelt, IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 109; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[10] Merkmale von Olivenölen, Qualitätsmerkmale, Reinheitsmerkmale, Konsolidierter Text: Verordnung (EWG) Nr. 2568/91 der Kommission vom 11. Juli 1991 über die Merkmale von Olivenölen und Oliventresterölen sowie die Verfahren zu ihrer Bestimmung; zu finden unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A01991R2568-20191020 resp. Merkmale von Olivenölen, Qualitätsmerkmale, Reinheitsmerkmale, S. 5/6/7/8, Durchführungsverordnung (EU) 2019/1604 der Kommission vom 27. September 2019 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2568/91 über die Merkmale von Olivenölen und Oliventresterölen sowie die Verfahren zu ihrer Bestimmung; zu finden unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=celex:32019R1604
[11] BRUN, Der Harmonie-Parameter - das grosse Missverständnis, evoo.expert; zu finden unter https://www.evoo.expert/post/der-harmonie-parameter-das-grosse-missverst%C3%A4ndnis
[12] KÄGI, Wieso man bei Olivenöl keine Kompromisse machen sollte, NZZ Bellevue, 14.04.2022 - via Wayback Machine; zu finden unter https://web.archive.org/web/20220420124048/https://bellevue.nzz.ch/kochen-geniessen/olivenoel-worauf-es-beim-kauf-und-der-lagerung-ankommt-ld.1679224
[13] Ranzige Olivenöle, Anzahl Nennungen von Fehlern, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 69; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[14] Schlammige Olivenöle, Anzahl Nennungen von Fehlern, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 69; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[15] Chemische Qualität, sensorische Qualität, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 12/62/36/64/65; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[16] Preise und Qualität, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 48-61; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[17] BRUN, Olivenöl: Qualität hat ihren Preis, Gastkommentar vom 15.11.2018, NZZ; zu finden unter https://www.nzz.ch/meinung/olivenoel-qualitaet-hat-ihren-preis-ld.1433850
[18] Preise und Qualität, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 48-61 und Ermittelte Qualität der Otto's Olivenöle in IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 125; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[19] KÄGI, Grünes Gold - so erkennt man gutes Olivenöl, Globus; zu finden unter https://www.globus.ch/foodscout/gruenes-gold-so-erkennt-man-gutes-olivenoel
[20] Ermittelte Qualität der Globus-Olivenöle in IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 99-109 und Ermittelte Qualität der Otto's Olivenöle in IOF - International Olive Foundation, Studie zur Olivenölqualität im Schweizer Detailhandel im Jahr 2019, S. 125; zu finden unter https://files.static-nzz.ch/2020/2/14/bb0ab21a-f9c9-4e83-bae5-ade1b24e660c.pdf
[21] KÄGI, Kägi kocht Spargeln mit frischen Morcheln im Blätterteig, NZZ Magazin, 22.04.2022; zu finden unter https://magazin.nzz.ch/besser-leben/rezept/spargeln-mit-morcheln-im-blaetterteig-rezept-von-richard-kaegi-ld.1680285 und https://web.archive.org/web/20220425080559/https://magazin.nzz.ch/besser-leben/rezept/spargeln-mit-morcheln-im-blaetterteig-rezept-von-richard-kaegi-ld.1680285?reduced=true
[22] DOLLASE, Die Abwertung von Marc Haeberlin und seiner „Auberge de l’Ill“ ist skandalös, Der Guide Michelin 2019 findet keine Balance, 22.01.2019; zu finden unter https://www.eat-drink-think.de/der-guide-michelin-2019-findet-keine-balance/
[23] DOLLASE, „Ich bin beinahe umgefallen“, Interview mit Marc Haeberlin von der „Auberge de l’Ill“ über den Verlust des dritten Michelin-Sterns, 12.08.2019; zu finden unter https://www.eat-drink-think.de/ich-bin-beinahe-umgefallen/
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