Die in Luzern ansässige, gemeinnützige Stiftung IOF – International Olive Foundation hatte am 10. Juli 2019 bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission Beschwerde gegen Lidl Schweiz DL AG aus Weinfelden eingereicht. Der Discounter hatte gemäss IOF auf blick.ch mit der kommerziellen Kommunikation «Wir setzen auf nachhaltige Produkte zu fairen Preisen!» geworben. IOF schrieb dazu in ihrer Medienmitteilung vom 11. Juli 2019, wer natives Olivenöl extra zum Literpreis von CHF 4.29 verkaufe, bezahle weder faire Einkaufspreise noch handle er nachhaltig. Lidl entgegnete, seine Produktpreise seien bedingt von Marktpreisen sowie Gestehungskosten und hätten ausserdem mit der schlanken Struktur des Discounters zu tun. Ein Kommentar von Silvan Brun.
Zugegeben, es ist eine Gratwanderung, sich einerseits im Namen der Stiftung IOF im Rückblick auf Lidls Nachhaltigkeitswerbung bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission gegen den Discounter zu beschweren, und andererseits als Olivenölkritiker im Blog "Master of Olive Oil" dieses Geschehen auch noch detailliert zu kommentieren. Nicht wenige Weggefährten hätten mir davon abgeraten, wenn ich sie denn diesbezüglich um Rat gefragt hätte. Aber es geht hier nicht um mich, und es geht auch nicht um evoo ag. Es geht um Sie, liebe Konsumenten, egal ob Sie nun Kunde bei Lidl sind oder ob Sie sowieso lieber woanders einkaufen. Denn, obwohl wir hier in der Schweiz bereits an einigen Standorten mit gutem Gewissen wunderbare Olivenöle einkaufen können, die den Titel Extra Vergine auch tatsächlich verdienen, befindet sich der weltweite Olivenölmarkt in einer existenziellen Krise. Und mit ihm die vielen zigtausend Olivenbauern. Schuld daran sind nebem dem Handel auch die Konsumenten. Rückgrat zeigen, heisst es jetzt für mich. Neben meiner Verpflichtung im Amt des Präsidenten von IOF - International Olive Foundation, ist es auch meine ganz persönliche Überzeugung, diesen Olivenbauern, die in ihren Existenzen bedroht sind, helfen zu müssen. Damit das gelingt, braucht es klare Worte, die gehört und gelesen werden müssen. Es braucht Lob für die Guten, und Tadel ist nötig für diejenigen, die es weniger gut machen. Dass das Klartextreden gewisse Risiken für mich als natürliche Person und insbesondere auch für meinen Arbeitgeber evoo ag als juristische Person birgt, bin ich mir bewusst. Dennoch, den Mund aufzumachen, die Missstände anzuprangern und nach Lösungen zu fordern, ist jetzt mehr denn je nötig. Heute und morgen und auch übermorgen werde ich Ihre Hilfe benötigen, diese Botschaften zu verbreiten. Bitte lassen Sie mir Ihre Unterstützung gewiss sein.
Andalusische Olivenbauern demonstrieren für faire Olivenölpreise
«Ohne faire Preise gibt es keine Zukunft», skandierten sie. Über 20'000 andalusische Olivenbauern, die meisten von ihnen in kleinen familiären Landwirtschaftsbetrieben organisiert, hatten am 9. Juli 2019 in Sevilla für angemessene Olivenölpreise demonstriert (hier). Hintergrund des Protests, der übrigens in keiner einzigen Zeitung im deutschsprachigen Raum Erwähnung fand, sind die anhaltenden Dumpingpreise für spanisches Olivenöl, an denen die spanischen Bauern reihenweise zugrunde gehen. Miguel López von der COAG, einer der beiden Organisationen, welche die Kundgebung organisiert hatten, gab zu verstehen, dass die Industrie und der Handel wegen der deutlich zu tiefen Preise für native Olivenöle, welche die Produktionskosten der Olivenbauern nicht decken können, den Olivenbauern 1.5 Mia Euro stehlen würden. Ein Blick in die spanische Olivenölbörse verdeutlicht López' Aussage: Über POOLred wurden vom 04.07.2019-10.07.2019 rund 41 % des als nativ extra gehandelten Olivenöls zu Kilopreisen (offen; bulk) zwischen € 2.175 und 2.28 verkauft. Die Bauern berichteten während der Demonstration gar von Preisen um 2 Euro pro Kilo Öl. Sie fürchten um ihre Existenz, und sie warnen davor, dass die anhaltend tiefen Preise zu illegalen Aktivitäten führen, was die Reinheit und die Qualität des andalusischen Olivenöls unmittelbar gefährde.
«Man müsste diese Öle aus dem Handel nehmen. Die Lebensmittelkontrolle müsste hier tätig werden.»
- Annette Bongartz, Leiterin Schweizer Olivenöl Panel, zum Ergebnis des Kassensturz-Tests
Der Verband der spanischen Olivenölgemeinden aemo kritisierte jüngst, dass mit den aktuell am Markt aufgerufenen Spottpreisen die Produktionskosten, die den Olivenbauern und den Mühlen während der zurückliegenden Ernte 2018/2019 entstanden sind, nie und nimmer gedeckt werden können. Die Folgen sind Landflucht, Verarmung und erfinderische Produktionsmassnahmen, die im Betrug gipfeln können. Denn welche Öle, die heute als extra vergine in Supermärkten und Discount Stores angeboten werden, sind tatsächlich von höchster Qualität, wie es das Gesetz für natives Olivenöl extra in der EU aber auch in der Schweiz vorschreibt? Ein Blick in Medienpublikationen vergangener Tage und Monate zeigt: Zahlreiche Tests in verschiedenen Ländern haben zutage gefördert, dass die Qualität der in Supermärkten und Discount Stores angebotenen Öle oft schlechter ist als auf dem Etikett angegeben. Auch Lidl Italien wurde im Jahr 2016 von der italienischen Kartellbehörde AGCM der Konsumententäuschung überführt. Der italienische Ableger des deutschen Discounters Lidl hatte nachweislich minderwertiges Olivenöl als Extra Vergine an Konsumenten abgegeben. Das fehlbare Produkt hiess "Primadonna" - eine Eigenmarke Lidls. Zwar revidierte das Verwaltungsgericht Lazio den AGCM-Entscheid und sprach Lidl von der absichtlichen Konsumententäuschung frei, da Lidl sein Öl von einem externen Olivenölpanel habe untersuchen lassen, jedoch bestätigte auch das Römer Verwaltungsgericht, dass es erwiesen sei, dass Lidl minderwertiges Öl als erste Güteklasse ausgegeben hatte. Den Analysen der Lebensmittelpolizei sei unbedingt zu vertrauen. Lidl Deutschland beteuerte, dass das für Lidl Italias Primadonna abgefüllte Öl nur in Italien im Einsatz war. Doch, auch Kassensturz von SRF ermittelte im Jahr 2016, dass Lidls Primadonna-Olivenöl, welches in der Schweiz verkauft wurde, den geltenden gesetzlichen Anforderungen für ein natives Olivenöl extra nicht genügte. 4.89 Franken kostete damals die Literflasche. Kassensturz belegte damals quasi, dass alle billigen Olivenöle zum Testzeitpunkt qualitativ ungenügend waren. Die Leiterin des mit der sensorischen Analyse betrauten Schweizer Olivenöl Panels, Annette Bongartz, sagte zum Testergebnis: «Man müsste diese Öle aus dem Handel nehmen. Die Lebensmittelkontrolle müsste hier tätig werden. Oder verstärkt tätig werden. Letztendlich ist es aber auch eine Verantwortung des Händlers, der die Öle ins Regal stellt.»
Lidl Schweiz hat den Preis für das Primadonna-Olivenöl weiter gesenkt
Was hat Lidl Schweiz daraus gelernt und wie schaut es heute in seinen Regalen aus? Lidl Schweiz hat sein Primadonna-Olivenöl aktuell zum Literpreis von CHF 4.09 im Angebot. Demnach ist der Preis noch tiefer, als die von IOF jüngst monierten 4.29. Rechnet man davon die Mehrwertsteuer und die für die Einfuhr in die Schweiz üblichen Transport-, Zoll- und Garantiefondskosten (alleine die Zoll- und Garantiefondsbeiträge schlagen mit CHF 86.70 pro 100 kg Bruttogewicht zu Buche) weg, bleiben ungefähr CHF 2.99. Das entspricht beim Monatsmittelkurs Juli 2019 einem Gegenwert von 2.645 Euro. Von diesem Betrag in Abzug gebracht werden müssten dann die Kosten für die PET-Flasche, den Verschluss, die Etikette und die Kartonbox sowie die Abfüllleistung (Personal-, Strom- und Betriebskosten sowie allfällige Margen). Der Preis für die Rohware, der sich dann ergäbe, läge schon deutlich unterhalb jener Grenze, bei welcher wir annehmen können, dass sie ein nachhaltiges Olivenölgeschäft in Südspanien garantiert. Will Lidl Schweiz nun auch noch etwas am Öl verdienen, würde das den Einkaufspreis zusätzlich drücken. Für den einzelnen spanischen Olivenbauern, der den Mühlen seine Oliven abliefert und dafür wegen des immensen vom Detailhandel ausgehenden Preisdrucks praktisch kein Geld mehr bekommt, geht es ums nackte Überleben. Die Vermutung liegt nahe, dass sich an den 1.5 Mia Euro, die den spanischen Olivenbauern aufgrund der aktuellen Öldumpingpreise gestohlen werden, unter anderem auch Lidl Schweiz bereichert.
Die Frage, die sich angesichts Lidls Werbeaussage auf blick.ch aufdrängt, ist: Darf man sowas mit «Wir setzen auf nachhaltige Produkte zu fairen Preisen!» bewerben? Die IOF bezog dazu klar Stellung und fand, dass Lidls Werbeaussage bezüglich Nachhaltigkeit und fairen Preisen - explizit im Zusammenhang mit dem Primadonna-Olivenöl - unlauter sei. Die Stiftung reichte deshalb bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission Beschwerde gegen Lidl Schweiz ein. Nur, wie wird die Schweizerische Lauterkeitskommission den Fall beurteilen? Wie wird sie in dieser Angelegenheit entscheiden. Gibt sie der klagenden Stiftung IOF recht, hiesse das, dass Lidl im expliziten Fall mit Olivenöl nicht nachhaltig handelt. Ein Paukenschlag wär's.
Bei Lidl sind sogar die Ausreden billig Lidl Schweiz konterte in den Regionalausgaben von CH Media (u.a. Luzerner Zeitung), die den Discounter zu einer Stellungnahme gebeten hatte, den Vorwurf IOFs mit dem wenig belastbaren Argument, dass die tieferen Verkaufspreise unter anderem mit den schlanken Strukturen innerhalb des Discounters zu tun hätten. Lidls Replik kann allerdings ohne grosse Mühe als billige Ausrede entlarvt werden. Denn, die Produktionskosten der Oliven und des daraus entstandenen Öls, ja auch die Abfüllleistung beim spanischen Kooperativen-Giganten DCOOP in Antequera haben nicht das Geringste mit "schlanken Strukturen" innerhalb des Discounters zu tun, sondern lediglich mit dem Preisdruck, der vom Handel auf die Industrie und somit auf die Bauern ausgeübt wird. Der von Lidl ins Feld geführte Organisationsvorteil greift nämlich erst innerhalb der Organisation Lidls und schlägt sich erst dann preislich nieder, wenn das Olivenöl fixfertig abgefüllt zum Versand bereit steht. Keinen Augenblick früher.
Doch offenbar kümmern die tatsächlich berechtigten grossen Sorgen tausender spanischer Olivenbauern im beschaulichen Weinfelden niemanden. Zumindest niemanden, der bei Lidl Schweiz auf der Gehaltsliste steht. Oder noch präziser, niemanden, der bei Lidl Schweiz etwas zu sagen hat. Denn wie der Discounter gegenüber CH Media weiter zu verstehen gab, orientiere sich der Produktpreis Lidls jeweils an den entsprechenden Marktpreisen sowie an den Gestehungskosten. Und da die Marktpreise für spanisches Olivenöl zurzeit nun mal im Keller liegen, gibt das Lidl Schweiz die Möglichkeit, das Primadonna-Olivenöl in der Einliterflasche, abgefüllt von der zur DCOOP-Gruppe gehördenden Mercaóleo S. L., zum Spottpreis von 4.09 Franken dem Endkonsumenten zu verticken. "Wenn es die Anderen tun, dürfen wir das auch", scheint man sich im schönen Thurgau zu sagen. Man kommt eben ganz nach dem Mutterhaus, welches in Deutschland aktuell von tausenden Plakatwänden und -säulen günstigste Preise verspricht und dabei hämisch über seine Konkurrenten herzieht.
«Bekannt ist, dass grosse Kooperativen ihre Olivenbauern teilweise nicht nur wertmässig schlecht entlöhnen, sondern die Zahlungen in manchen Fällen über zwei Jahre aufschieben [..]»
- Silvan Brun, Master of Olive Oil
Lidl Schweiz gab auch zu verstehen, dass man die Äusserungen von IOF nicht nachvollziehen könne und führte zudem ins Feld, dass der von IOF in der Medienmitteilung publizierten Kalkulation Rechenfehler innewohnen würden, und dass diese auch nicht auf das spezifische Produkt eingehen würde. Klar, Lidl Schweiz muss argumentieren, wie es ein Discounter in Bedrängnis eben tut. Sein Kerngeschäft ist es schliesslich, Lebensmittel zu Niedrigstpreisen anzubieten. Wer beim Disocunter einkauft, erwartet in der Regel auch nicht in erster Linie Nachhaltigkeit, sondern niedrige Preise. Wenn der Discounter nun aber auch noch behauptet, sein Billigolivenöl sei ein nachhaltiges Produkt zu einem fairen Preis, muss er den Beweis erbringen, dass das tatsächlich stimmt. IOF kennt, um den nächsten Vorwurf Lidls zu entkräften, die detaillierte Beschaffungskalkulation Lidls mit Sicherheit nicht. Abweichungen im Rappen- resp. im Cent-Bereich wird es daher sicherlich geben. Klar dürfte angesichts der unbestreitbaren Fakten (Verkaufspreise, Mehrwertsteuer, Zoll- und Garantiefondskosten) aber sein, dass Lidl Schweiz sein Primadonna-Olivenöl zu Preisen bezieht, welche die Produktionskosten der andalusischen Olivenbauern nicht decken. Zudem ist bekannt, dass grosse Kooperativen ihre Olivenbauern teilweise nicht nur wertmässig schlecht entlöhnen, sondern die Zahlungen in manchen Fällen über zwei Jahre aufschieben, um den Bauern so einen niedrigen langjährigen Mittelwert für die Olivenankaufspreise aufs Auge drücken zu können. Nachhaltig und fair ist das nicht. Wer Olivenöl zum Spottpreis einkauft, muss sich dieser Situation bewusst sein; das gilt gleichermassen für Händler wie für Konsumenten.
Lidl Schweiz schliesst seine Replik in der Luzerner Zeitung mit dem Argument: «Unserer Meinung nach sollten nachhaltige Produkte nicht nur gehobenen Bevölkerungsschichten vorbehalten, sondern wenn möglich für die gesamte Bevölkerung erschwinglich sein.» Das stimmt wohl, allerdings muss man in Weinfelden bei Lidl Schweiz verstehen, dass ein Produkt wie natives Olivenöl extra gewisse Kosten voraussetzt, um erstens die Qualität, welche die Qualitätsauslobung "Nativ Extra" ja verspricht, und zweitens die Nachhaltigkeit, die den Olivenbauern ein sicheres Auskommen und Perspektiven bietet, garantieren zu können. In der Schlussfolgerung heisst das: Wer für natives Olivenöl extra nur 5 Franken bezahlen möchte, der kann keinen Liter, sondern höchstens einen Deziliter erwarten; und wenn ihm das angesichts des Verhältnisses von Menge und Preis zu teuer ist, muss er mit einem anderen Produkt vorliebnehmen. Ich kann mir den Ferrari F40 schliesslich auch nur als Modell von Bburago im Massstab 1:18 leisten.
Wenn Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, das Wohl der Olivenbauern in Südspanien am Herzen liegt, erweisen Sie ihnen bitte diese zwei Gefälligkeiten: 1. Bezahlen Sie angemessene Preise für Olivenöl und 2. teilen Sie diese Nachricht mit so vielen Kontakten wie möglich.
Herzlichen Dank.
Silvan Brun
Master of Olive Oil
Comments