Die Schweizer Landwirtschaft ist heute wegen des Drucks der Händler und der zaghaften Überwachungs- und Gesundheitssicherungstätigkeit der "Behörden" auf Pestizide angewiesen. Ohne geht es nicht. Ausnahmen bestätigen zwar auch hier - und wie fast immer - die Regel. Doch, wie gefährlich sind sogenannte "Pflanzenschutzmittel" für die Natur und somit für ihre darin lebenden Organismen, womit auch aber nicht ausschliesslich die Menschen gemeint sind?
"Der Pestizid-Poker" hier in voller Länge
«DOK»-Autorin Karin Bauer[1] folgt in diesem sehenswerten Film den Spuren des Gifts auf dem Feld, im Wasser bis in den Keller des Bundesamts für Landwirtschaft. Letzterem wurde die Regulierungstätigkeit im Zusammenhang mit Pestiziden wegen seiner Nähe zur Agrarwirtschaft zu Beginn des Jahres 2022 "entzogen".[2]
Überhaupt bleibt im "Pestizid-Poker" der Schweiz vieles undurchsichtig. Sicherheitsstudien, finanziert und in Auftrag gegeben von den Pestizidherstellern selber, bleiben - unabhängig des federführenden Bundesamtes - ebenso unter Verschluss wie die aufgrund der Studiensichtung erstellten Berichte der Bundesämter selber. Die "Behörde" schützt somit die wirtschaftlichen Interessen der Chemiefirmen und gewichtet diese somit höher als die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung.
Immerhin, 34 Pestizid-Wirkstoffe sollen gemäss «DOK» alleine in den Jahren 2019 und 2020 vom Markt genommen worden sein. Unter anderen das Nervengift Chlorpyrifos. Epidemiologische Studien dazu hätten gezeigt, dass Chlorpyrifos den IQ von Kindern verringern könne. Und, für Schlagzeilen wegen der Belastung des Trinkwassers sorgte bekanntlich vor nicht allzu langer Zeit auch das pilztötende Mittel Chlorothalonil, das von der EU als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft und dessen Verwendung deshalb ab dem 1. Januar 2020 ebenfalls verboten wurde.
Gegenüber «DOK» erklären zwei Chemiker, dass man schon in den 1980er- und 1990er-Jahren, also mindestens seit 30 Jahren, um die Gefahr gewusst habe. Respektive, dass man die Gefahr aufgrund der Tierversuchsstudien hätte errechnen und die Wirkstoffe verbieten können. Können? Müssen?
Der Fall um das Chlorothalonil zeigt, dass die Behörden bisweilen auch mit heftiger und mächtiger Gegenwehr von betroffenen Grosskonzernen rechnen müssen. Just am 7. April 2022 nämlich, dem Ausstrahlungstermin von Bauers Film "Der Pestizid-Poker", schreibt der Agrochemie-Konzern Syngenta auf seiner Website quasi als Mahnmal: «Syngenta begrüsst Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Chlorothalonil.» Das Bundesverwaltungsgericht habe das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in einem Zwischenentscheid vom 24. August 2020 angewiesen, bis zum finalen Urteil Aussagen von seinen Webseiten zu entfernen, die Chlorothalonil als «wahrscheinlich krebserregend» bezeichnen und alle Abbauprodukte als «relevant» und damit potenziell gesundheitsschädlich einstufen würden, so Syngenta weiter.[3] Die Syngenta behauptet ihrerseits - wen wundert's -, dass der Einsatz von Chlorothalonil erwiesenermassen weder die Umwelt noch die Gesundheit gefährde, was die entscheidenden Kriterien für die Zulassung sein sollten. Und weiter meint der Agrochemie-Riese: «Den endgültigen Entscheid über die Beschwerde von Syngenta gegen das Chlorothalonil-Verbot wird das Gericht zu einem späteren Zeitpunkt treffen.»
Ob Behörden von Grosskonzernen nach Belieben unter Druck gesetzt werden oder nicht, das dürfte keine Rolle spielen, wenn die Konsumenten ihre Macht nutzen und vor dem Ladenregal stehend öfter die richtige Entscheidung treffen würden. Allerdings setzt das voraus, dass sich die Konsumentenschaft in ihrer Gesamtheit eingehender mit dem Thema der Nahrungs- und Lebensmittelproduktion auseinandersetzt. Und das ist bisher leider nicht der Fall.
Quellen
[1] Karin Bauer, Autorin, SRF-«DOK»; zu finden unter https://www.srf.ch/sendungen/dok/karin-bauer
[2] Zulassungsstelle für Pflanzenschutzmittel ist per 01.01.2022 dem BLV zugewiesen, 8. Kapitel: Vollzug, 1. Abschnitt: Bund, Art. 71 Zulassungsstelle und Steuerungsausschuss Abs. 1 Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (Pflanzenschutzmittelverordnung, PSMV) SR 916.161 vom 12. Mai 2010 (Stand am 1. Januar 2022); zu finden unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2010/340/de#art_71
[3] Syngenta begrüsst Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Fall Chlorothalonil; zu finden unter https://www.syngenta.ch/news/schweizer-landwirtschaft/syngenta-begruesst-zwischenentscheid-des-bundesverwaltungsgerichts-im
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